Dhun Gharsain

„Wenn mich gestern jemand gefragt hätte, ob ich das hier jemals in meinem Leben tun würde, dann hätte ich ihn gefragt, ob er noch ganz dicht ist“, kommentierte Cat unsere Aktion und stach zum wiederholten Male die Schippe in die harte Erde. „Und wie kann man um Himmels Willen vergessen, wo man eine Leiche versteckt hat? Tust du das etwa so oft, dass du dir eine Karte anlegen musst?“ Daniel, ganz das Ziel ihrer Attacken, schwieg betreten. Ihm war es mehr als unangenehm, was hier stattfand. Und ich wusste, dass Cat ihn verletzte, indem sie ihn als einen Mann hinstellte, der gewohnheitsmäßig tötete. „Erna Walding, zwei Schritte hinter der Mauer links. Michael Gimmel, fünf Schritte rechts vom Haus. Friska Bommel …“
„Halt die Klappe Cat!“, war es Magnus, der ihren Redefluss unterbrach. „Du weiß verdammt genau, was damals war. Dieses Schwein hätte Lilly umgebracht, um sich vor seinem Boss zu beweisen. Es ist einfach, mit dem Finger auf Daniel zu zeigen und ihm das, was er tun musste um sie zu schützen, jetzt vorzuwerfen. Aber verdammt, bei den Latène herrschen nun Mal andere Regeln und das weißt du. Also hilf uns entweder, dieses Schwein auszubuddeln, oder hau ab. Aber in beiden Fällen: Halt die Klappe!“
Uuuups. Na, das war ja Mal eine Ansage. Seit Magnus aus dem Kloster zurückgekehrt war, strotzte er nur so vor Selbstvertrauen – tat jedoch nur selten so konsequent seine Meinung kund. Zu meiner Überraschung reagierte Cat ganz und gar nicht angegriffen. Stattdessen grub sie einfach einen Moment weiter, ehe sie sich zu Daniel umdrehte und ihn entschuldigend anlächelte. „Sorry, Daniel. Ich glaube, ich habe gerade irgendwie Panik oder so etwas bekommen. War nicht so gemeint.“
„Schon gut“, erwiderte mein Freund nickend. „Ich bin nicht stolz auf das, was geschehen ist. Und es gefällt mir nicht, dass ihr da nun mit drin hängt. MIR tut es leid.“
„Ich glaube, wir hängen da mit drin, seit wir Lilly kennen. Also mach dir keinen Kopf. Und jetzt lass uns endlich diesen Idioten ausbuddeln und von hier verschwinden, ehe das Kamerateam auftaucht und feststellt, dass hier ein richtiger Krimi gedreht werden kann.“
Der Krimi. Damit fing alles an. Es war vor einigen Tagen, als ich am Frühstückstisch neugierig einen Artikel über den Glauberg entdeckte. Es ging darum, dass ein Wissenschaftler die Behauptung aufgestellt hatte, die Pfähle am Grabhügel hätten einst aus einem anderen Material bestanden. Derzeit waren es einfache Holzpfähle. Es gab Kritiker, die generell bezweifelten, dass sie überhaupt dort gestanden haben – eine Kritik, die ich dank meines genuinen Gedächtnisses zurückweisen könnte. Jedenfalls gab es schon lange kontroverse Meinungen und Thesen über die Pfähle. Nun wurden Untersuchungen deswegen angestrebt und weitere Fachleute herangezogen. Das konnten sie sich eigentlich sparen. Ich wusste, dass es auch zu keltischen Zeiten Holzpfähle waren, die den Prozessionsweg säumten – doch da ich das ja nicht beweisen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als sie einfach machen zu lassen. Sie würden schon merken, dass sie einer falschen Idee folgten.
Ich wollte die Zeitung gerade kopfschüttelnd beiseitelegen, als Daniel sie mir praktisch aus der Hand riss und von einer Sekunde auf die andere kreidebleich in seinem Stuhl zusammensackte.
„Ist etwas nicht in Ordnung? Man könnte meinen, du seist einem Geist begegnet“, erkundigte ich mich nach dem Grund seiner Reaktion. Wobei, wenn man es recht bedachte, eine Begegnung mit einem Geist ihn aufgrund seiner Erfahrungen vermutlich nicht in diesen Zustand versetzt hätte.
„Das könnte man so sagen“, erwiderte er, ließ das Informationsblatt sinken, verschränkte mit ratlosem Blick die Arme vor der Brust und schnaufte. „Erinnerst du dich an Marlon?“
Was für eine Frage. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man je einen Menschen vergessen könnte, der einem nach dem Leben getrachtet hatte. „Natürlich.“
„Du weißt, dass ich …“ Er stockte.
„Dass du dafür sorgen musstest, dass er verschwindet? Ja.“ Daniel wusste, dass ich über diese Tat im Bilde war. Ich verstand nicht, weshalb er das nun auf den Tisch brachte. Aber dass er es nicht beim Namen nennen konnte und um den heißen Brei herumredete zeigte mir, wie sehr er noch immer darunter litt, es getan zu haben. Getötet zu haben. Obwohl ich Mitleid für meinen Freund empfand, machte mich das auch glücklich, denn es zeigte wie so vieles, dass selbst all die Jahre unter Ariax den wunderschönen Kern nicht zu brechen vermochten, der in ihm steckte.
„Das Fernsehen möchte einen Krimi auf dem alten verlassenen Hofgut in Ranstadt drehen.“
„Das an der Hauptstraße? Dort, wo man Richtung Reichelsheim abbiegt?“
„Ganz genau dort.“
„Sag jetzt nicht, du hast Marlons Leiche auf dem Hofgut versteckt? Die liegt da nicht irgendwo herum, oder?“
„Natürlich liegt sie nicht irgendwo herum. Ich habe sie vergraben. Irgendwo hinter der Mauer links neben der Villa, oder was auch immer das einmal gewesen ist.“
„Irgendwo?“ Was zum Henker meinte er mit irgendwo?

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